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Demographie aus Investorensicht

Die demografische Entwicklung sieht in verschiedenen Ländern und Regionen sehr unterschiedlich aus. Was bedeutet das für Anleger?

Datum
Autor
Jonathan Marriott, Chief Investment Officer, LGT Wealth Management
Lesezeit
6 Minuten
Demographie aus Investorensicht

Der Naturforscher Sir David Attenborough hat vielfach auf die schädlichen Auswirkungen des weltweiten Bevölkerungswachstums hingewiesen. Und der Wachstumsdruck auf die Ressourcen wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Das Bild ist jedoch keineswegs einheitlich - in vielen Teilen der Welt schrumpft nämlich die Bevölkerung.

Während beispielsweise Geburtenkontrolle das Bevölkerungswachstum verlangsamen kann, führen Fortschritte in der Medizin und bessere Lebensbedingungen zu einer höheren Lebenserwartung. In Ländern, wo die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter abnimmt, während die Zahl der Rentenbezieher steigt, wird die Belastung durch eine alternde Bevölkerung spürbarer werden. Demografische Entwicklungen haben aber auch für Anleger langfristig tiefgreifende Folgen, auch wenn diese kurzfristig kaum spürbar sind.

Bevölkerungstrends und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen
Die ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen demografischer Entwicklungen können erheblich sein. Jeder langfristig orientierte Anleger sollte das berücksichtigen.

Eine Studie der Vereinten Nationen über Bevölkerungstrends zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Bevölkerungsentwicklung in verschiedenen Ländern und Regionen verläuft - aber auch, dass der demografische Wandel nur langsam erfolgt. Die ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen demografischer Entwicklungen können erheblich sein. Deshalb sollte jeder langfristig orientierte Anleger diese Trends berücksichtigen.

China

China erkannte vor vielen Jahren, dass es schwierig werden könnte, seine steigende Bevölkerung zu ernähren und führte deshalb die Ein-Kind-Politik ein. Dies verlangsamte zwar die Geburtenrate, doch heute wird die alternde Bevölkerung zum Problem. Das Schaubild zeigt die erwarteten Trends: die Zahl der über 65-Jährigen steigt, während die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter langfristig abnimmt. Sich um die Älteren zu kümmern dürfte für die jüngeren Generationen zu einer immer grösseren Belastung werden. Aber auch ausserhalb Chinas ergibt sich ein Problem: Die wachsende erwerbstätige Bevölkerung in China hat die westlichen Länder während der letzten zwanzig Jahre mit billiger Arbeitskraft versorgt. Wenn die Zahl der Chinesen im erwerbsfähigen Alter gleichbleibt oder sinkt, werden sich diese anderswo nach billigen Arbeitskräften umschauen oder stärker um Automatisierung bemühen müssen.

Bevölkerungsentwicklung China

Die Kommunistische Partei Chinas hat die Gefahr erkannt und ihre ursprüngliche Ein-Kind-Politik schrittweise gelockert. Um den Geburtenrückgang umzukehren, ging sie kürzlich sogar so weit, eine Politik des dritten Kindes einzuführen. Wegen der hohen Ausbildungskosten haben aber viele Familien nach wie vor nur ein Kind. Dies war einer der Gründe für die Änderung der Bildungspolitik mit dem Ziel,  ausländische Beteiligung und die Erzielung von Gewinn aus der ausserschulischen Nachhilfe zu verhindern. Das Beispiel China zeigt, dass sich demografischer Wandel nur sehr langsam vollzieht und schwierig zu beeinflussen ist. Selbst wenn jetzt mehr Kinder geboren werden, werden diese erst in vielen Jahren in das Erwerbsleben eintreten. Die neue Bevölkerungspolitik mag sinnvoll sein, aber der Schaden ist bereits angerichtet, und der Wandel kommt sehr spät.

Europa

Bevölkerungsentwicklung Europa
Europa: Entwicklung der Gesamtbevölkerung und nach Altersgruppen.

Obwohl es in Europa keine Ein-Kind-Politik gab, sind die Geburtenraten ebenfalls zurückgegangen. Betrachtet man Europa als Ganzes, ist das Bild aber nicht so dramatisch. Die Migration hat nämlich in vielen nordeuropäischen Ländern dazu beigetragen, sinkende Geburtenraten auszugleichen. 

Migraton ist denn auch primär für Unterschiede zwischen Nord und Süd verantwortlich: Im Vereinigten Königreich beispielsweise, bedeutet der Rückgang der aktiven Bevölkerung und der Anstieg der über 65-Jährigen, dass auf jeden über 65-Jährigen fast nur noch eine Person im erwerbsfähigen Alter kommen wird - sofern die Immigration diese Entwicklung nicht abschwächt. In Italien, wo die Geburtenrate ebenfalls stark zurückgegangen ist, kommt es hingegen zusätzlich zur Emigration, weil viele erwerbstätige Italiener Arbeit in den Ländern Nordeuropas suchen.

Bevölkerungsentwicklung Italien
Italien: Entwicklung der Gesamtbevölkerung und nach Altersgruppen.

Für Italien, das bereits einen hohen Schuldenberg hat, könnte es schwierig werden, seinen Verpflichtungen ohne die Unterstützung der Europäischen Union nachzukommen. Die Spannungen in der Eurozone dürften deshalb anhalten und sich sogar verschlimmern, wenn die Zinsen irgendwann wieder zu steigen beginnen.

Der Rest der Welt

Globale Bevölkerungsentwicklung
Globale Entwicklung der Gesamtbevölkerung und nach Altersgruppen.

In den USA zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Nordeuropa, wobei der Geburtenrückgang geringer ist und die Einwanderung den Bevölkerungsrückgang ausgleicht. Japan leidet schon lange unter einer alternden Bevölkerung und viele japanische Unternehmen haben ihre Produktion ins Ausland verlagert.

Bevölkerungsentwicklung Indien
Indien: Entwicklung der Gesamtbevölkerung und nach Altersgruppen.

Während die Überalterung der Bevölkerung in einigen Ländern ein Problem darstellt, wächst die Weltbevölkerung insgesamt immer noch. Dieses Wachstum erfolgt primär in Schwellenländern wie Indien, Indonesien und in Subsahara-Afrika. Wenn China ins Straucheln gerät, könnte Indien das Land sein, das demographisch am meisten profitiert. Die ungenügende Infrastruktur und die grassierende Bürokratie dürften dies jedoch erschweren, und sogar in Indien ist nach 2050 mit einer demografischen Trendumkehr zu rechnen.

Bevölkerungsentwicklung Afrika
Bevölkerungsentwicklung Afrika: Entwicklung der Gesamtbevölkerung und nach Altersgruppen.

Auf Subsahara-Afrika entfällt der größte Teil des erwarteten Wachstums der Weltbevölkerung. Hier dürfte die demografische Entwicklung eindeutig positiv sein. Allerdings wird die globale Erwärmung diese Region hart treffen. Aber auch aufgrund der politischen Spannungen und der Korruption erscheint es schwer vorstellbar, dass diese Länder China als Quelle für billige Arbeitskräfte ersetzen könnten.

Auswirkungen auf Investitionen

Es ist problematisch, aus langfristigen Trends wie dem demografischen Wandel Investitionsempfehlungen abzuleiten. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass eine alternde Bevölkerung deflationär wirkt, weil Kaufkraft wegfällt. Ein Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung kann aber den Druck hin zu Lohnsteigerungen verstärken, was in Kombination mit höheren Steuern die Inflation anheizen kann. Hoch verschuldete Länder müssen dann möglicherweise höhere Zinsen auf neu emittierten Schulden bezahlen. Die Vergemeinschaftung von Schulden innerhalb der EU, sofern diese ausgeweitet wird, könnte jedoch dazu beitragen, dass die Spreads innerhalb der EU-Länder eng bleiben.

Um negative Auswirkungen der Alterung abzufedern, werden auf jeden Fall technologische Fortschritte wichtig sein, einschließlich des Einsatzes von künstlicher Intelligenz und Robotik. Dies wird erhebliche Investitionen notwendig machen, und die grossen Technologieunternehmen sind möglicherweise am besten dazu in der Lage. Investitionen in Bildung könnten ebenfalls ein Schlüsselfaktor sein, um die erforderlichen Fortschritte zu erzielen. Der Rückgang der Nachfrage im Verhältnis zum Angebot könnte bedeuten, dass die ständige Aufwärtstbewegung bei den Preisen für Wohnimmobilien zu Ende geht. Auch wenn die demografische Entwicklung im Vereinigten Königreich nicht so dramatisch ist wie anderswo, könnte sich die Anpassung der Immobilienpreise auch im Vereinigten Königreich bemerkbar machen, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht und sich nach einer kleineren Wohnung umsieht. Rentner werden möglicherweise Investments verkaufen, um ihren Ruhestand zu finanzieren, aber dies könnte dadurch ausgeglichen werden, dass Erwerbstätige mehr sparen, da sie erkennen, dass der Staat möglicherweise nicht das Mass an Unterstützung bietet, dass sie im Ruhestand benötigen.

Schlussfolgerung

Falls die Technologie die Lücken nicht schliessen kann, könnten die demographiebedingten Anpassungsprozesse schmerzhaft ausfallen. Ein späterer Renteneintritt, tiefere staatliche Renten und höhere Steuern sind mögliche Lösungen, die aber in der Bevölkerung wohl kaum Anklang finden werden. Ein festes Renteneintrittsalter scheint eine Erfindung des 20. Jahrhunderts zu sein. Zuvor hat man in der Regel so lange gearbeitet, wie man körperlich dazu in der Lage war. Als Anlagemanager werde ich vielleicht über mein offizielles Rentenalter hinaus arbeiten, aber ich glaube nicht, dass ich Warren Buffett nacheifern möchte, der mit 90 Jahren immer noch investiert.

Der demografische Wandel vollzieht sich langsam und lässt sich wie ein Supertanker nur schwer umlenken. Die schlimmsten Auswirkungen dürften erst in einigen Jahren spürbar werden. Die Trends in den verschiedenen Teilen der Welt unterscheiden sich radikal und die Auswirkungen sind schwer zu bewältigen. In diesem Jahr wird die Inflation wahrscheinlich ansteigen, während wir uns von der Pandemie erholen, und wir erwarten, dass sie sich danach wieder abschwächt. Auf sehr lange Sicht könnte der Inflationsdruck aber wieder zunehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass die kurzfristigen Bewegungen an den Märkten durch diese Entwicklungen bestimmt werden, aber wir müssen uns der möglichen Störungen bewusst sein, wenn wir mit langem Anlagehorizont investieren.

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