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Investments in den Gesundheitssektor: Von der Nische zum Investmenttrend

Seit der Covid-Pandemie präsentiert sich die Gesundheitsbranche als Ort, an dem Investoren mitten in der Krise Wachstum finden. Ein Überblick über die interessantesten Investments im Gesundheitswesen - ihre Geschichte und Zukunft.

Datum
Autor
Simon Usborne, Gastautor
Lesezeit
10 Minuten
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Im Jahr 1848 reisten zwei Cousins aus der kleinen deutschen Stadt Ludwigsburg nach New York City. Karl Erhart, genannt Charles, war Zuckerbäcker. Sein Cousin war Chemiker und hatte von seinem Vater ein Darlehen von 2500 Dollar erhalten, um in Brooklyn eine kleine Fabrik zu gründen. Sein Name war Charles Pfizer.

Für Investoren ist der Gesundheitssektor seit Covid noch interessanter

Charles Pfizer
Charles Pfizer gründete 1849 Pfizer & Co. © Wipikedia
Der erste Durchbruch gelang Pfizer 1861, als der Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs die Nachfrage nach Schmerzmitteln in die Höhe schnellen liess. Pfizer lieferte den Soldaten der Unionsarmee Weinsäure und verdoppelte seine Einnahmen innerhalb von sieben Jahren. Zur gleichen Zeit entstanden die Pharmaunternehmen von heute. Sie verwandelten die Pharmazie in eine Industrie, die modernste Wissenschaft und Massenproduktion miteinander vereint.

Letztens brauchte Pfizer nur wenige Monate, um seinen Umsatz zu verdoppeln - von 41.7 Milliarden USD im Jahr 2020 auf 81.3 Milliarden USD im Jahr 2021. Geschuldet war dieses Wachstum dieses Mal keinem Krieg, sondern der Corona-Pandemie und dem Wettrüsten um einen Impfstoff.

Die Pandemie hat einem traditionell kleinen und nach innen gerichteten Sektor einen Schub gegeben - dies in einem vielfältigen und zunehmend digitalen, datengesteuerten Ökosystem von Gesundheits- und Biotechnologieunternehmen. Er reicht von den alten Giganten wie Pfizer bis hin zu kleinen, wendigen Disruptoren.

Dawn Bell
Biopharma-Spezialistin Dawn Bell: "Investments in Biotechnologie ist ein relativ junger Trend."

"Als ich anfing, haben sich nicht viele Investmenthäuser mit Biotechnologie befasst", sagt Dawn Bell, eine erfahrene amerikanische Biopharma-Leiterin, die einem Rat angehört, der Life-Science-Start-ups unterstützt; namentlich am von der EU finanzierten Europäischen Innovations- und Technologieinstitut. "Und wenn es Investoren gab, waren sie stark geografisch fokussiert. Wer ein Unternehmen gründen wollte, musste den Risikokapitalgebern nahestehen und entweder ein angesehener Wissenschaftler oder eine erfahrene Führungskraft sein, die den Risikokapitalgebern bereits bekannt war. Das waren die Personen, denen sie ihr Geld anvertrauten."

Besonders erfolgreich waren etablierte Persönlichkeiten und grosse Pharmaunternehmen, die auch über die nötige Finanzkraft verfügten, um sich in dem Bereich zu etablieren, der traditionell das grösste Investitionspotenzial birgt: der Medikamentenentwicklung.

Denn es braucht mindestens eine Milliarde Dollar und ein Jahrzehnt, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. Ausserdem haben sich diese Kosten trotz enormer Fortschritte in Wissenschaft und Technik inflationsbereinigt etwa alle neun Jahre verdoppelt, was das so genannte Eroom'sche Gesetz begründet (die Umkehrung des Mooreschen Gesetzes, der Beobachtung, dass sich die Anzahl der integrierten Schaltkreise, die auf einem Mikrochip Platz haben, etwa alle zwei Jahre verdoppelt). 

Gesundheit als Geldanlage: Patienten und Investoren profitieren von Prävention

Doch schon vor der Pandemie erlebte die Biotechnologie eine lange Hausse und ein starkes Wachstum. Der Gesundheitssektor wurde vielfältiger - und attraktiver für Anleger ausserhalb der traditionellen Blase. Bell führt dies auf die Entwicklung besserer Instrumente, den besseren Zugang zu anspruchsvollen Daten und die ständig steigende Rechenleistung zurück.

Malte Stiel
Fixed-Income-Stratege Malte Stiel sieht die "connected healthcare" als grössten Gesundheitstrend.

"Der momentan grösste Trend ist die 'connected healthcare', also das vernetzte Gesundheitswesen", ergänzt Malte Stiel, Fixed-Income-Stratege mit Fokus Nachhaltigkeit bei LGT Private Banking. Überall auf der Welt werden Systeme entwickelt, welche die Prävention fördern und die Ärzte entlasten sollen. Das Ziel dieser Systeme ist es, die Gesundheitsversorgung aus der Ferne zu verbessern und den Einsatz von diagnostischen Wearables und mit Apps verbundenen Systemen für die Medikamentenabgabe zu fördern.

Stiel verweist auch auf den Vormarsch von Social Impact Bonds, die privaten Investoren Anreize zur Finanzierung von Gesundheitsprogrammen bieten. Im Jahr 2017 führte die Region Stockholm ein bahnbrechendes Programm ein, bei dem Investoren Präventionsstrategien für mehr als 2000 Patienten finanzierten, die gefährdet waren, Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Im Rahmen solcher Programme werden die Anleger aus den Einsparungen zurückgezahlt, die sich aus den geringeren Kosten für die öffentliche Gesundheit ergeben - und das mit Zinsen. "Das kommt dem gesamten Gesundheitssystem zugute, weil es viel billiger ist, präventiv zu handeln", so Stiel.

Gesundheitssektor mit Wachstumsaussichten

Schon vor der Pandemie begeisterte Bell der Prozess, wie die Technologie die traditionell schwerfällige Entdeckung neuer Arzneimittel zu beschleunigen begann. "Die Weiterentwicklung dieser Werkzeuge ermöglicht es uns, die Biologie schneller zu entschlüsseln, als wir es je zuvor konnten", sagt sie. Als Beispiel nennt sie die "Genomik-Revolution", die sich auf die Genbearbeitung und Untersuchung der DNA, die Entwicklung von Krebsmedikamenten und eine Vielzahl anderer Funktionen erstreckt.

Covid19 Impfung
Die Gesundheitsbranche zeigt grosse Wachstumschancen - nicht nur für Pharmagiganten wie Pfizer. © KEYSTONE/imageBROKER/SIMON BELCHER

Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind, haben oft vielversprechende Wachstumsaussichten aufzuweisen - und auch hohe Renditen. Der MSCI ACWI Genomic Innovation Index beispielsweise, der zusammen mit ARK Invest entwickelt wurde und 250 Unternehmen aus der Gesundheitsbranche umfasst, hat seit 2013 die Benchmark um fast 50% übertroffen. "Und der Private-Equity-Markt sprudelt nur so vor Geld, wobei noch enormes Kapital eingesetzt werden muss", so Bell. "Wie viel davon in bestehende Unternehmen und wie viel in neue Unternehmen fliessen wird, bleibt abzuwarten. Aber es gibt immer noch grosse Chancen in der Biotechnologie."

Es ist auch einfacher geworden, die Qualität eines Investments zu bestimmen. Der Access to Medicine Index beispielsweise, eine niederländische Non-Profit-Organisation, die von mehreren Regierungen und Stiftungen finanziert wird, stuft die 20 grössten Pharmaunternehmen nach ihrer Fähigkeit ein, ihre Medikamente in 106 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verfügbar, erschwinglich und zugänglich zu machen.

Investments in die Gesundheit: Wie weiter nach der Pandemie?

Der Ausbruch der Pandemie hat nicht nur die Nachfrage nach Innovationen im Gesundheitswesen und in der Biotechnologie erhöht, sondern auch deutlich gemacht, wie wichtig Forschung und Investments für die Gesellschaft sind. "Ich denke, dass dadurch auch viele Investoren auf den Plan traten, die normalerweise nicht in Biotech investieren, jedoch aufgrund der Pandemie, der Schliessungen und Massnahmen eine weniger breite Auswahl hatten, ihr Geld anzulegen", sagt Bell. "Der Gesundheitssektor schien wie ein Ort, an dem Investoren Wachstum finden konnten - und das mitten in der Pandemie."

Roboter im Operationssaal: Wie Deep Tech die Medizin revolutioniert

Unternehmen aus dem Bereich medizinischer Roboter und Geräte, die zur aufstrebenden MedTech-Branche gehören, schnitten besonders gut ab und konnten im Jahr 2021 einen Rekordbetrag von 9.9 Milliarden USD an Risikofinanzierungen einnehmen. Einige dieser Unternehmen befassten sich mit Covid-Tests, aber nicht alle Investitionen waren direkt von der Pandemie inspiriert. Chirurgierobotik und auf Künstliche Intelligenz gestützte Krebsdiagnosen gehörten zu den Bereichen, die am oberen Ende der Finanzierungsskala vertreten waren. Die Pandemie hat auch die Bedeutung der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen hervorgehoben und neue Finanzmittel für die Behandlung von Krebs und Autoimmunkrankheiten angezogen.

Bell sagt, dass sich der Markt nach dem überschwänglichen Jahr 2021 ein wenig beruhigt hat. Sie sieht einen Vorteil dieser Verlangsamung in realistischeren Bewertungen für potenzielle Fusionen und Übernahmen, da viele neuere Biotech- und Medizintechnikunternehmen einen grösseren Partner suchen, der sich um die Entwicklung und Vermarktung kümmern kann. Sie hofft, dass der neue Fokus auf den Sektor - und die daraus resultierenden Investitionsmöglichkeiten - die Pandemie lange überdauern werden.

Pfizer hat derweil weiterhin gute Geschäfte gemacht und den weltweiten Markt für Covid-Impfstoffe dominiert, musste sich aber auch Kritik gefallen lassen, weil Pfizer beschlossen hatte, alle Gewinne bei sich zu behalten - andere Pharmaunternehmen hingegen hatten einen Teil ihrer Einnahmen gespendet. Pfizer erzielte mit dem Impfstoff gegen Covid-19 im Jahr 2021 einen Umsatz von fast 37 Mrd. USD und erlebte damit den grössten Erfolg, seit zwei Cousins mit einem bescheidenen Plan nach New York gesegelt waren.

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